Dienstag, 12. April 2022

                                          24


Stunden später stampfte Heinz durch den dunkelbraunen Matsch, den das Tauwetter hinterlassen hatte. Gnadenloser Wind klatschte ihm ins Gesicht. Die Kälte fraß sich bis zu den Knochen durch. Als er die Kneipentür aufstieß, kam ihm wohlige Wärme entgegen, gefolgt von Bierdunst und dem groben Gelächter der Männer. Er steuerte den Tresen an. „Bier, rasch ein Bier!“,rief er.

„Gewiss Heinz, ein großes Blondes, wie immer!“, sagte der Wirt und machte sich ans Zapfen. Heinz setzte sich auf einen der abgewetzten Barhocker. Als das Bier vor ihm stand, starrte er einen Moment ausdruckslos die Schaumkrone an, bis er endlich das Glas an die Lippen setzte und die herbe Flüssigkeit durch seine Kehle rinnen ließ, bis hinab in den Magen, hinein ins Blut, ins Herz und ins Hirn, bis sie die Seele erreichte, die eingehüllt sein wollte von der sanften Wolke des Rausches. „Bier, ich brauche noch ein Bier!“

Der Wirt füllte ein neues Glas und stellte es vor Heinz hin. „Wohl bekomms!“

Auch dieses Glas konnte den Durst nicht löschen, der immer größer wurde, je mehr er trank. So folgte ein weiteres Bier, dann noch eines. Getrieben von einem inneren Zwang stand Heinz von seinem Hocker auf und rief: „Heute habe ich frei, morgen auch, dann aber gehts los! Ich werde diesen Kuckucken in den Arsch treten! Ich werde meinen Männern nicht befehlen, nein, ich werde sie bitten, ihnen die verdammten Gedärme herauszureißen, um sie ihnen ins dreckige Maul zu stopfen. Das sind nicht einmal Tiere, das ist Geschmeiß! Das ist Gezücht, das uns unser Leben rauben will. Es muss ausgemerzt werden!“

Einer der Männer im Raum meinte, es gäbe vielleicht eine andere Lösung.

„Unsinn“, fuhr Heinz fort, „Träumereien sind das. Du hast nicht gesehn, was ich habe sehn müssen, all die Toten, die zerfetzten Körper. Ich sage euch, Hyänen sind dagegen Schmusetierchen. Aus der Hölle kam diese verpisste Brut gekrochen. Sie haben keine Moral, kein Herz, sie bestehen aus reiner Mordgier. So ist das! – Noch ein Großes, Wirt!“ Gierig kippte er ein letztes Bier herunter. „Ich muss nach Hause“, sagte er, „meine Familie wartet. Die machen sich sonst Sorgen.“

„Ja Heinz, jetzt ists gut. Geh heim!“

Er warf das Geld auf die Theke und ging hinaus in die Kälte.


Zu Hause angelangt fummelte er eine Weile am Schlüsselloch herum, bevor sich die Tür öffnen ließ. „Endlich da!“, rief er, schaltete das Licht ein und schlürfte schwankend in die Küche. Im Kühlschrank wartete eine Flasche Bier auf ihn. Er öffnete die Flasche und nahm sie mit ins Wohnzimmer, dort setze er sich in einen abgeschabten Sessel. Hier saß er immer, es war sein Sessel, sein Platz. Stille sickerte aus den Wänden. Sein Blick wanderte mechanisch zum Regal, dorthin, wo das Bild von den beiden stand, von seiner Tochter und seiner Frau. Er sackte in sich zusammen, er schluchzte, wurde zu einem Haufen aus Schmerzen, zur armseligsten Kreatur unter dem Himmel.


Es war ja so leicht, man musste nur das Bewusstsein über den eigenen Kopf schweben lassen, schon erblickte man die Welt von oben. Unter Wasser roch es anders als in der Welt der Luft und der Trockenheit. Hier schwebten die Düfte feiner, mischen sich zarter ineinander, sie waren nicht so getrennt wie in der Tiefsee Europas. In den Gärten wucherte die Natur mit Flieder, Tulpen und Kirschblüten. Und zu den wirr umherflatternden Düften gesellten sich Frühlingsfarben. Dunkles Blau umkränzte goldgelbe Fäden im Herzen einer Blume, deren Name sie nicht wusste. Aber was bedeuteten schon Worte? Das Grün zappelte an den Bäumen als Blätter, wogte als Gras, verbog sich als Stängel einer Mohnblume, blitzte aus den Augen der Katzen. Winzige Wolkenstücke flossen durch das Hellblau, das sich über den Sommer spannte. Kinder lachten, Hunde bellten – schon war sie eingetaucht in den Gesang einer Amsel, im glitzernden Spiel der Steine, in Farben, in Klängen. Sie spürte den Atem der Menschen, fühlte in ihrem Herzen den Schlag aller Herzen, spürte alle jene, die so waren, wie sie war, verloren und haltlos, die selig gestorben, angesichts des honigsüßen Augenblicks. Sie sah ihrem eigenen Körper zu, wie er unter ihr dahinlief. Ein Blitz durchzuckte sie. Etwas wollte herausfallen aus dem Frieden, der sie umgab, etwas Wütendes, Schmerzvolles. Offen lud sie das Fremde ein, machte sich weit, als wäre sie ein großer Mantel und schloss sich wieder, um es zu wärmen. Sie blickte in das Herz eines Mädchens. Es war jünger als sie, noch ein richtiges Kind. Welche Verzweiflung trug diese kleine Seele! Sie spürte Flammen von Schmerz, von Trauer und inmitten von alldem hockte die Kälte wie ein bösartiger Gnom. Laura holte ihr Bewusstsein in den Kopf zurück und lief in die Richtung, die ihr das Herz anzeigte.


Sie fand die Kleine auf den Stufen eines Gartenhauses sitzend. Ihr Rücken war gebeugt, sie hielt etwas in der Hand und Tränen liefen ihr übers Gesicht. Laura ging durch die Pforte und blieb vor dem Mädchen stehen. Es blickte mit geröteten Augen zu ihr auf und sagte: „Tot ist er, er ist tot.“

Reglos lag er in ihrer Hand, der Wellensittich, den Schnabel ausgesperrt.

„Es tut mir leid“, sagte Laura, „aber eines Tages muss alles …“

„Ich hab's getan, habe zugedrückt und immer mehr gedrückt. Die Seele flog raus. Er ist weg.“

Laura tastete das Gehirn des Kindes ab, dessen Gedanken wie in einem Futteral steckten, halb verborgen, halb unverständlich. Sie konnte sie nicht lesen. Dieses Kind war anders, als die Kinder, die sie sonst kannte. „Wo sind deine Eltern?“, fragte sie.

„Arbeiten. Mutti kommt abends, Papi kommt selten.“

„Soll ich mal wieder nach dir sehen?“

Die Augen der Kleinen weiteten sich. „Spielst du dann mit mir?“

„Ja, okay, gewiss doch.“

„Ich habe nämlich keine Freunde“, sagte das Mädchen ernst.

Laura strich ihr sanft über die Locken. „Wir sollten ihn begraben.“

„Ja, wir begraben ihn.“


„Du bist spät Schatz, hat das einen Grund, oder gehört das mit zur Pubertät?“

„Ich habe ein Mädchen getroffen, mit ihr ein wenig geredet.“

„Oh, eine neue Freundin?“

„Ja, äh nein, ich meine, sie ist nicht in meinem Alter. Sie ist noch ein Kind. Sie wohnt ein paar Ecken weiter, ihre Eltern kommen erst abends, sie ist den ganzen Tag alleine. Sie tut mir leid.“

„Entschuldigung, ich wollte deine Gedanken nicht lesen, aber es drängte sich auf: Du denkst an den Tod, an etwas Totes, oder?“

„Ihr Vogel, ihr Sittich, er ist gestorben. Ich meine, nicht nur einfach gestorben, sie hat ihn getötet, mit Absicht.“

„Getötet?“

„Zerdrückt.“

„Zerdrückt?“

„Ja, mit den Händen.“

„Sie hat wirklich Schwierigkeiten.“

„Ich kümmere mich etwas um sie.“

„Gut – falls sich da ein Abgrund auftun sollte, du weißt ja, wo ich wohne.“

„Klar Mama, immer in meinem Herzen.“

„Du auch in meinem, Schatz.“

„Ich muss noch Schularbeiten machen.“

„Klar doch, lass dich nicht ausbremsen von mir. Übertreibe es nicht, du warst schon immer so fleißig, auch letztes Jahr in der Schule auf Europa.“

„Aber das ist etwas anderes. Auf Europa fließt das Wissen direkt in dich hinein, hier musst du es dir erobern.“

„Ich glaube, ich habe die klügste Tochter auf allen drei Welten.“

„Ich hoffe, du täuschst dich nicht“, sagte Laura und ging auf ihr Zimmer.


Alice wandte sich ihrem Computer zu, um LSD im Internet zu bestellen. Neben ihr lag das Buch, das in ihr eine interessante Idee entzündet hatte. Der Autor hieß Timothy Leary, der Titel des Werkes lautete Exo Psychologie. Anscheinend, so suggerierte das Buch, konnte man mithilfe von LSD nicht nur das eigene Nervensystem programmieren, sondern auch den genetischen Code neu ordnen. Natürlich war DNA-Forming auf Europa eine bekannte Praxis. Man benötigte dazu einige Spezialisten, medizinische Geräte und Zeit. Auf diese Art wurde ihr ursprünglicher Körper in einen menschlichen verwandelt. Sie aber wollte etwas anderes erreichen: eine sofortige Transformation, ausgelöst von einem Gedanken. Eine vollkommen flexible Körperform.

Es läutete an der Tür. Alice brach ihre Bestellung ab. Karen schaute vorbei. Sie bat sie herein, brühte Tee auf und reichte Kekse. „Laura ist mit ihren Hausaufgaben beschäftigt. Du kannst sie später begrüßen. Schön, dass du da bist.“

„Ich schaue gerne mal einfach so rein. Allerdings, dieses Mal habe ich einen besonderen Grund. Ich habe Fragen Alice. Bestimmt kannst du sie mir beantworten.“

„Klar, ich helfe gerne, im Antworten geben bin ich super.“

Karen nahm einen Schluck Tee. „Köstlich wie immer.“

Echt japanischer Sencha.“

„Mhh, wirklich gut. Meine Frage betrifft unser Problem zurzeit, das Problem mit ihnen.“

„Es gibt kein Problem, es gibt nur eine Herausforderung. Wenn ich dich richtig verstehe, redest du von den Ersten.“

„Genau. Sie verstecken sich, vermehren sich, tauchen plötzlich auf, töten Menschen, selbst vor Kindern machen sie nicht halt. Es sind Monster. Wir wissen nichts über sie. Sie sollen die Körper der Menschen benutzen wie ein Gefährt, sagt man. Ich meine, Europa hält absichtlich Informationen zurück. Wer sie auch sind, sie fallen doch nicht aus reiner Mordgier über uns her. Ich denke, es gibt eine Vorgeschichte.“

„Sie sind hochgradig aggressiv, glaube mir, das liegt in ihrer Natur.“

„Du scheinst sie ja gut zu kennen.“

„Das soll doch nicht etwa ein Verhör werden?“

„Ach was, ich bohre, weil ich mir Fragen stelle und neugierig bin.“

„Ich verstehe dein Bohren. Du hattest es nicht leicht. Es war schrecklich, was du hast durchmachen müssen. Also, dann erzähle ich mal. Nun ja, es gibt eine Vorgeschichte. Man muss nicht alles gleich den Medien zum Fraß vorwerfen. Auf jede Wahrheit kommen ja heutzutage mindestens zehn alternative Fakten. Bevor einiges falsch verstanden wird, hat der Rat von Europa sich entschlossen, die Wahrheit häppchenweise anzubieten.“

„Ich vertrage einen fetten Brocken davon.“

„Also, wenn du meinst, fangen wir an“, sagte Alice. „Die Geschichte der Kuckucke, wie die meisten Erdenbewohner sie nennen, weil sie nicht wissen, warum sie diese Wesen die Ersten nennen sollten, begann am Anfang. Ganz am Anfang.“

„Am Anfang wovon?“

„Am Anfang der Geschichte des bewussten Lebens auf der Erde. Wie du weißt, wollten damals jene von uns, die sich die Erde als Heimat ausgesucht haben, in den evolutionären Strom eintauchen und sich in die Natur des Planeten integrieren.“

Ja, deswegen die Manipulation der Urschimpansengene, das sollte uns die Anpassung an die neue Umwelt erleichtern. Der Grund, warum wir genetisch am meisten mit den Schimpansen verwandt sind.“

„Das stimmt. Was du allerdings nicht weißt – zuvor wurde ein anderer Weg probiert. Man hat viele Tiere untersucht, ihr Verhalten beobachtet und mit ihrer Erbinformation in Zusammenhang gesetzt. Mit diesem Wissen im Hintergrund wurden sie gezüchtet.“

„Du meinst jetzt nicht die Ersten, oder?“

Alice nickte. „Wir haben Körper produziert. Wesen mit geringer Intelligenz, aber mit hoch entwickelten Instinkten. Tiere eben. Extrem überlebensfähig. Sie sollten erst einen Testlauf absolvieren, bevor sie als Vorlage für die neuen Körper dienen konnten. Schließlich fand man heraus, dass die Vorläufer der Schimpansen ideale Voraussetzungen zeigten. Ihre Hände, ihre nach vorn gerichteten Augen, ihr Zusammenleben in Gruppen, alles passte recht gut. Man hat die Urschimpansengene manipuliert. Die Erschaffung des Menschen. Zumindest seines Körpers. So entstand der Homo sapiens. Es wurden auch einige Varianten hergestellt, um den Genpool zu vergrößern. Du kennst das ja aus der Schule, Homo neanderthalensis beispielsweise, dessen Gene man bis heute bei europäischen und asiatischen Populationen feststellen kann.“

„Und diese Ersten, was wurde aus ihnen?“

„Na vergessen wurden sie, sie hatten ihre Bedeutung verloren. Sie waren nicht mehr als ein gescheitertes Experiment. Tief in den Wäldern hausten sie weiterhin, anpassungsfähige Tiere, von uns erschaffen, um sich auf der Erde durchzusetzen.“

„Und ich vermute, es blieben keine Tiere.“

„Nein, blieben sie nicht. Sie entwickelten sich rasch. Als sie begannen Werkzeuge zu benutzen und sich eine Sprache bei ihnen ausbildete, wurden sie immer bösartiger. Viele ihrer Clans schlachteten sich gegenseitig ab – es war weitaus schlimmer als bei den Menschen. Ein Wunder, dass sie sich nicht gegenseitig ausgerottet haben. Gewiss, auch bei den Menschen gab es Kriege, Morde, Zwietracht, sie konnten sich aber ebenso in andere einfühlen, kooperierten miteinander. Trotz ihrer zeitweiligen Grausamkeit zeigten sie immer wieder das, was man Menschlichkeit nennt. Sie gingen ihren Weg. Wir haben sie dabei hin und wieder unterstützt, wie du ja weißt. Als die Menschheit sich immer mehr ausbreitete, wurden die Ersten zu einer Herausforderung. Obwohl weniger intelligent als die Menschen, bedrohten sie deren junge Kultur. Sie überfielen Siedlungen, sie töteten jeden, der ihnen in die Klauen fiel. Sie waren unseren Geschwistern auf der Erde körperlich überlegen. So haben wir eingegriffen und lösten die Schwierigkeiten mit den Ersten kreativ auf. – O mein Telefon – entschuldige mich kurz, es ist das Diensttelefon.“ Überrascht von der Nachricht, die sie erhielt, murmelte Alice ein paar abgehackte Sätze, dann beendete sie das Telefonat. „Es tut mir leid, es ist der Fluch meines Jobs. Es ist sehr wichtig, eine schlimme Sache. Ich muss sofort ins Hauptquartier unserer Einheit. Den Rest der Geschichte erzähle ich dir, wann immer du willst. Und du kannst gerne noch bleiben. Laura müsste gleich mit ihren Hausaufgaben fertig sein.“

„In Ordnung, ich schaue mal, was sie macht.“

„Fein, ich rufe dich heute Abend an“, versprach Alice, nahm ihr Schlüsselbund und eilte aus dem Haus.


Der Wachposten erkannte Alice nicht, so musste sie ihren Dienstausweis vorzeigen. Er salutierte. Ich sollte mich mehr um die Leute hier kümmern, dachte sie, zumindest sollten sie mich erkennen – auch ohne Uniform. Zum Umziehen hatte sie sich angesichts der schlechten Nachricht keine Zeit genommen. Im Büro hing zudem immer eine frische Uniform. Dort angekommen zog Alice sie an und blickte in den Spiegel, der an der Innenseite der Schranktür befestigt war, ein Extrawunsch von ihr, Europäerinnen waren eitel, zumindest was das Äußerliche anging. Die Uniform saß wie immer perfekt. Das Gesicht konnte die Unruhe nicht verbergen. Sie atmete tief durch, es war so ähnlich, wie Wasser durch die Kiemen zu spülen und erfrischte ein weinig. Sie griff zum Telefon und beorderte drei Offiziere in den Konferenzraum.


Die Offiziere erwarteten sie. Sie grüßte knapp. „Meine Dame, meine Herren, was ist passiert?“

Leutnant Mahler ergriff das Wort. „Zwei Tote, beide innerhalb des Dienstgebäudes. Offenbar einem Attentat zum Opfer gefallen. Genauer gesagt, es handelt sich um zwei Attentate.“

„Innerhalb des Dienstgebäudes sagten sie? Also hier vor unserer Nase.“

„Ja Frau Major. Ein Angriff von innen. Es scheint, als hätte man unsere Truppe unterwandert. Zudem ist es denkbar, dass es in diesem Zusammenhang noch mehr Opfer gegeben hat, draußen bei den Einsätzen, bei denen wir annehmen mussten, sie wurden von x-beliebigen Ersten getötet.“

Alice fasste zusammen. „Also, es existiert, so sieht es zumindest aus, ein Attentäter in unseren Reihen, oder es sind sogar mehrere. Wir wurden eventuell unterwandert, was bedeutet, der Feind trägt unsere Uniform. Natürlich untersuchen wir unsere Leute regelmäßig, aber die Ersten lernen dazu. Es wird immer schwieriger, sie zu entdecken. Sie wissen ja, ihre Gehirnfrequenz ist teils menschlich. Sie lassen alles in ihrem Wirtskörper übrig, was ihnen zur Orientierung und zur Tarnung nutzt. Auch sind ihre Gedanken kaum zu lesen. Wir werden ab heute gründlicher bei der Auswahl der Leute vorgehen müssen. Allerdings können wir das Personal nicht einfach so auf Unregelmäßigkeiten in Gedankenmustern untersuchen. Gedankenlesen ist nur mit Einwilligung erlaubt. Wie dem auch sei, wir dürfen nicht einfach in die Privatsphäre eindringen. Wegen ähnlicher Übergriffe wurde die letzte Regierung unter anderem ja abgesetzt.“

„Von 70 Prozent unserer Leute werden wir die Erlaubnis gewiss bekommen.“

Alice sah Frau Oberleutnant Podewsky skeptisch an. „Ich weiß ihren Optimismus zu schätzen, aber ich rechne mit 20 Prozent, wenn's hochkommt. Sie wissen ja, es menschelt überall. Einer hat bei der Steuer geschummelt, der andere findet eine Kollegin attraktiv, und sie alle wollen ihre kleinen Geheimnisse für sich behalten. Manche haben gar kein Geheimnis, wollen allerdings aus Prinzip nicht, dass man sie ausspioniert. Wir müssen das akzeptieren. Das Gesetz schützt das Recht der Menschen auf ihre Privatsphäre. Wir alle haben dafür gekämpft.“

Hauptmann Kullmann meldete sich zu Wort. „Gestatten Sie mir eine Bemerkung Frau Major: Was, wenn wir nicht von den Ersten direkt unterwandert wurden, sondern von Menschen, die mit ihnen kooperieren. Sie werden das nicht freiwillig tun, gewiss nicht, aber vielleicht erpresst man sie. In diesem Fall müsste umfassend ermittelt werden.“

„Veranlassen Sie das, Hauptmann, nutzen Sie den gesetzlichen Spielraum so weit wie möglich aus“, sagte Alice. „Etwas allerdings macht mich stutzig. Wenn sie uns wirklich unterwandern sollten, und wir haben es nicht mit einem Kranken zu tun, der sein Unwesen treibt, warum begnügen sie sich nicht damit, an interne Informationen zu gelangen, sondern töten welche von uns? Das lässt doch ihre Tarnung auffliegen, wie man so sagt.“

„Eventuell haben die Opfer ja Verdacht geschöpft. Deswegen wurden sie beseitigt“, gab Leutnant Mahler zu bedenken.

Durchaus möglich.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen