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Torpedos schossen durch das Wasser. Die Roboter Europas – ausgerüstet mit Scheinwerfern und Kameras – übertrugen das Geschehen so gut, wie sie konnten. Das würden sie auch weiterhin tun, bis zum letzten Augenblick. Rat Zarzar beobachtete den Monitor, auf dem er den Untergang Europas miterleben konnte. Auf der Erde kannten sie ein Wort: Schlachtbank. Und jetzt waren sie hier auf Europa wie Tiere auf der Schlachtbank, warteten auf das Beil, das ihnen das Genick brechen sollte. Ihr ganzes Abwehrsystem, über das sie verfügten, war ohne die Fähigkeit des Rippens nichts wert. Allein das Rippen konnte die Energie bereitstellen, die das Waffensystem brauchte. Schlachtvieh konnte nichts tun, außer auf den tödlichen Hieb zu warten. Wie aus dem Nichts heraus erschien etwas Neues auf dem Bildschirm. Schiffe materialisierten sich. Sie strahlten tiefrotes Licht aus. Zweifelsfrei Schiffe der Enceladusaner. Wollten sie den Angriff der Erde unterstützen? War das, was Zarzar sah, eine tödliche Allianz gegen Europa? Das rote Licht der Schiffe von Enceladus legte sich wie ein transparentes Netz über die Nukleartorpedos. Die Massenvernichtungswaffen standen im Nu still. Die Enceladusaner hatten ihnen sämtliche Energie entzogen. Über einen weiteren Monitor erhielt Rat Zarzar eine Eilmeldung der Regierung von Enceladus: „Sehr geehrter Rat, wir hoffen sehr, dass Sie uns unsere unangemeldete Intervention auf ihrem Mond nachsehen werden. Als Ergebnis unserer radioastronomischen Beobachtungen und den Übermittlungen unserer Agenten auf der Erde glaubten wir uns gezwungen, so rasch wie möglich einzugreifen und auf das diplomatische Protokoll zu verzichten. Wir hoffen damit, in Ihrem Sinne gehandelt zu haben. Unsere Schiffe verfügen über ein ausreichendes Reservoir an Energie. Es lohnt sich, in Zeiten des Überflusses zu sparen, so kann man in Zeiten des Mangels wuchern. Im Übrigen empfänden es auf Enceladus größere Kreise als angenehm, wenn wir unsere diplomatischen Kontakte mit Europa wieder festigen und ausbauen würden. Die Ereignisse der letzten Zeit sind ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Es scheint ein guter Zeitpunkt zu sein, um neue Verträge aufzusetzen, die auch die Belange der Erde mit einbinden könnten. Vor unzähligen Jahren sind wir in dieses Sonnensystem eingedrungen voller Tatkraft und Hoffnung. Diese Energie des Anfangs sollten wir wieder in unseren Herzen erwecken. Ich möchte mich vorerst von Ihnen mit besten Grüßen im Namen der Regierung von Enceladus verabschieden.“
Die Roggenfelder dehnten sich zu einem unendlichen Schachbrett aus. Alice bremste, der Wagen kam zum Stehen. Sie wollten eine Pause einlegen, die Weite spüren aus der Land und Himmel gemacht waren. Das Dach des Kabrioletts öffnete sich.
„Ich denke oft an Philip“, sagte Karen.
Alice lächelte sanft. „Gewiss. Es geht ihm gut. Eine Weile werden wir ihn nicht sehen. Wir sind allerdings unsterblich. Was der Zeit unterworfen ist, das wird enden. Was nicht der Zeit unterworfen ist, bleibt. Die meisten tun so, als wären sie begrenzt. Das stimmt nicht. Sogar eine Zukunft haben wir wieder, die drei Welten vereinen sich. Wir werden sein, was wir immer waren: Kinder des Alls und des Aufbruchs.“
Der laue Wind warf Lauras Haar zurück. Alice legte einen Arm um ihre Tochter. „Nun hat Mami wieder mehr Zeit für dich. Bei Mami ist es jetzt ganz sicher. Papi hat doch gut auf dich aufgepasst, oder?“
Laura nickte. „Ja, er hat aufgepasst, hat mir Grießbrei gekocht, mit Kirschen. Warum wohnt ihr nicht mehr zusammen?“
„Weißt du, wir passen nicht so recht zueinander. Wir sind sehr verschieden, mussten wir feststellen. Wir kommen aus unterschiedlichen Welten.“
„Was sind Welten?“
„Alles, was du um dich herum siehst, ist deine Welt. Die Wolken, die Felder. Irgendwann wird Mami dir ihre Welt zeigen. Da gibt es viele Fische und Quallen, die leuchten wie Regenbögen. Dort kann man sehr tief tauchen.“
„Gibt es da auch Fischstäbchen?“
„So etwas Ähnliches gibt es dort jeden Tag zu essen.“
„Lecker! Magst du auch Fischstäbchen Tante Karen?“
„Als Kind mochte ich die. Mit Ketchup. Übrigens, du bekommst bald einen neuen Freund.“
„Wie, einen Freund zum Spielen?“
„Na ja, anfangs wird er noch ein wenig zu klein dazu sein. Aber er bleibt nicht so klein.“
„Und dann spielt er mit mir? Wo ist er denn jetzt?“
„Noch nicht da, aber er ist unterwegs. Er kommt ganz bestimmt.“
„Ich werde warten“, versprach Laura treuherzig.
Alice bekam die Maulsperre. „Und das hast du mir verheimlicht?“
„Ich dachte, du durchforstest wieso meine Gedanken.“
„Unsinn, das macht man doch nicht unter Freundinnen. Ich werde also Tante?“
„Ja, Philip hat ein Geschenk hiergelassen.“
„Und was werde ich, wenn Mami eine Tante wird?“, fragte Laura dazwischen.
„Cousine, nehme ich an“, sagte Karen.
„Aber wer wird meine Mutter, wenn Mutti Tante wird?“
Alice und Karen lachten.
„Keine Sorge, ich werde nur für Karens Baby Tante, für dich bleibe ich deine Mami.“
„Darf ich das Baby streicheln?“
„Ich denke, Tante Karen wird es dir erlauben. Die Zukunft wird uns schöne Dinge bringen.“
„Was ist die Zukunft, Mami?“
„Alles das, was noch passieren wird, morgen und übermorgen und danach. Die Zukunft ist auch das, was du sehen kannst, wenn du die Augen zumachst und in die Dunkelheit hineinschaust. Dort siehst du irgendwann Linien oder Fäden. Diese nennt man die Fäden des Schicksals. Wenn sie zu flimmern beginnen, wirst du Bilder sehen. Sie zeigen, was kommen wird. Du musst nur etwas üben.“
„Ist das wahr, Mami?“
„Natürlich Schatz, Mami sagt die Wahrheit. Bald wirst du wissen, wie das geht. Du bist ein kleiner Engel. Alle Engel können sehen, was kommt, wenn sie groß sind.“
„Ja Mami, ich weiß – ich bin ein Engel.“
ERDE
Die Hölle ist leer. Alle Teufel sind hier.
William Shakespeare
Der Sturm
Auf dem Altar liegt das, was da hingehört: die schönen, sündhaften Werkzeuge der Magie. Das silberne Schild, das gleichzeitig ein runder Spiegel ist, das Schwert, der Kelch – schwarzes Kristall, geweiht mit Herzblut. Schwarzes Kristall, ein Schatten, der bis in die Tiefe reicht. Ein dunkles Feuer, es frisst sich bis in das Fundament der Welt. Die Stimmen raunen mal hebräisch, mal in der Sprache der Engel, werden rhythmisch, lauter, verdichten sich zu einem ekstatischen Singsang.
Das Opfer, es kniet in Weiß gekleidet, seine Hände sind gebunden. Die junge Frau hält den Kopf über eine Schüssel. Der Magier hebt die Hand: ein Zeichen, den heiligen Akt zu beginnen. Zwei Adepten treten vor, sie pressen den Kopf der Gefesselten ins eisige Wasser, mit dem die Schüssel gefüllt ist. Ihren Gesichtern sieht man es an: Sie verrichten ihr Werk nicht mit Freude. Allein die ihnen aufgebürdete Pflicht treibt sie sowie ihre Treue zum Orden. Abrupt bricht der Gesang ab. Das Opfer zuckt, windet sich – ein letzter Trieb zum Leben –, dann bleibt es reglos, ein totes Ding.
Raschdurchtrennt man die Fesseln. Legt das Mädchen auf den Rücken, massiert das Herz. Man bangt, man hofft, dass wieder Leben in den schlaffen Körper strömt. Husten unterbricht die Stille. Aufatmen. Sie lebt! Der Magier strahlt. All die Übungen, denen er sich unterworfen, das Wissen, das er sich angeeignet hat, es war nicht umsonst gewesen. Ihre Augen, weit geöffnet, sind zwei Sterne aus einer anderen Welt.
„Es ist vollbracht, wir sind hier!“, ruft sie mit glockenheller Stimme. Sie erhebt sich, sucht festen Stand. „So lange ohne Körper, ohne Materie! Und nun? Alles ist da. Ich kanns kaum glauben. Der Körper passt sich an mich an. Ich spüre sie nicht, sie ist vollkommen verdrängt. Ihre Sprache ist da, ich nutze sie; Erinnerungen sind da, sie haben mit mir nichts zu tun. Von ihr blieb nicht mehr ein Schatten, aber ich bin das Licht, das in diesem Körper leuchtet und brennt, der Motor, der ihn antreibt.“
Sie geht ein paar Schritte auf eine der Adeptinnen zu, mustert sie, saugt Luft durch die Nase ein, als nähme sie Witterung auf und öffnet den Mund, weiter als ein normaler Mensch es tun könnte. Sie beißt zu, rasch wie ein Gepard. Die Adeptin schreit auf.
„Es tut mir leid“, sagt die Frau in Weiß. „Oh, du blutest! Die Schulter wird heilen, ich habe den Hals bewusst verfehlt. Die alten Instinkte, sie gingen mit mir durch, jetzt, wo ich wieder körperlich bin. Ich kann meinen Kiefer bereits ausrenken. Meine Zähne werden schärfer. Es kam einfach über mich. Damals haben wir Affen gejagt,haben sie totgebissen, euretwegen. Alles haben wir für euch getan, alles geopfert, mehr als andere, mehr als jene – ihr wisst schon –, die von ihrem kalten Mond zu euch gekommen sind. Wir mussten alles geben. Jetzt seid ihr an der Reihe!“
„Sehen Sie nur: Feine Maserung, bestes Holz, präzise Handarbeit, alte Tradition. Eine echte Kuckucksuhr aus dem Schwarzwald. Mein neustes Sammlerstück. Na ja, man hat so seine Marotten. Die letzten Jahre, liebe Alice, verliefen recht harmonisch, so fand ich Muße, mir dieses Haus ganz nach gefallen einzurichten. Die Entwicklung der Erde ist gut vorangekommen. Die politische Situation auf dem Planeten hat sich beruhigt. Es lief vortrefflich, bis wir unaufmerksam wurden. Während wir uns an den Früchten unserer Bemühungen erfreuten, hat sich eine Schlange ins Paradies geschlichen, – um eine hiesige Metapher zu gebrauchen. Und das Tier zeigt seine Giftzähne. Es ist das passiert, was nie hätte vorkommen sollen. Sie sind ausgebrochen. Sie sind hier. Nach so vielen Jahren“, sprach Rat Zarzar. Er schwitzte in seinem Hausmantel und sein Gesicht erinnerte an den Erdenmond. Eine Leidenschaft für Kuchen ebenso für Schokolade hatte seinen Menschenkörper wabblig gemacht. „Kommen Sie zum Schreibtisch.“ Er schaltete den Computer ein, startete einen Videoclip. Er kommentierte: „Ein Infizierter. Es ist nachts, ein abgelegener Parkplatz am Rande der problematischen Viertel. Gegen eine solche Überzahl von denen hat er keine Chance. Er kennt auch die Klammer nicht. Wie sollte er? Die Klammer wurde seit Jahrtausenden nicht mehr angewendet. Selbst mit der Klammer wären seine ... Aber schauen Sie selbst, was die Überwachungskamera aufgezeichnet hat.“
Alice beobachtete gespannt den Monitor. Ein Mann stieg aus seinem Wagen und ging einige Schritte. Es kam etwas angeschossen, von rechts, von links, von hinten, so schnell, dass man nicht erkennen konnte, was es war. Im Nu sah sich der Mann eingekreist. Die Angreifer rissen ihre Münder weit auf, sodass sie zu Mäulern wurden. Das Video lief ohne Ton, aber wer es sich anschaute, stellte sich gewiss vor, wie sie schreckliche Geräusche machten, knurrten und grunzten. Auch konnte man ahnen, wie sie rochen. Jedenfalls nicht gut, wie Raubkatzen möglicherweise, aber wahrscheinlich noch übler. Der Infizierte verteidigte sich. Dem ersten Hieb konnte er ausweichen, dem nächsten auch. Er benutzte das Rippen, um den Arm eines Angreifers zu brechen. Schlaff und verdreht baumelte der Arm herab, aber nicht lange, in Sekundenschnelle heilte er wieder und zeigte sich voll gebrauchsfähig. Panik ergriff den Infizierten, er verdrehte den Bestien die Glieder, riss ihnen die Adern auf, dabei taumelte er von rechts nach links, um ihren Schlägen zu entrinnen. Es waren zu viele. Mindestens zwanzig Hände packten zu und handelten wie ein einziger Organismus. Seine letzte Chance wäre gewesen, einen Tunnel zu bauen, der ihn fortbringen konnte, weg von der mörderischen Meute. Dazu hätte es einige Sekunden Konzentration gebraucht. So viel Zeit blieb ihm nicht. Die flinken Körper stürzten sich auf ihn.
„Es ist der Hass, der reine Hass“, sprach Rat Zarzar.
Alice wandte sich entsetzt ab. „Unglaublich, wer weiß, wie lange sie schon hier sind. Eventuell über Jahre.“
„Und jetzt schlagen sie zu.“
„Wie konnte das passieren?“
Der Rat suchte nach Worten und kaute scheinbar auf einem Stück Luft herum, bevor er seine Sprache wiederfand. „Irgendwie sind sie durchgekommen, konnten sich hier festsetzen, in der Materie. Sie sind in menschliche Körper eingedrungen, haben den darin wohnenden Geist verdrängt. Gleichzeitig, vermute ich, konnten sie Teile der alten Persönlichkeit ihrer Opfer nutzen, wegen der Tarnung, der Anpassung, verstehen Sie? Es gibt keinen Zweifel, sie sind es, diese verfluchten Ersten!“
„Aber die waren doch viel zu primitiv. Ich meine, einen intelligenten Organismus zu infiltrieren und seine Persönlichkeit als Tarnung zu benutzen, das erfordert doch gewisse geistige Fähigkeiten.“
„Offenbar haben sie sich entwickelt.“
„Und das ist keinem aufgefallen?“
Rat Zarzar winkte ab. „Wer hat sich schon für die Ersten interessiert? Die Enceladusaner haben irgendwann eine Barriere um den Ersten-Planeten gezogen und fertig. Somit mussten die Biester in ihrem Gefängnis bleiben und konnten keine anderen feinstofflichen Welten bereisen. Nun haben sie wohl den Schlüssel gefunden. Die die Tür steht offen. Sie können in die materielle Welt eindringen.“
„Diese Monster! Und ihnen ist es möglich, den menschlichen Körper zu verändern, sobald sie ihn übernommen haben. Man konnte ja im Video sehen, wie ihre Mäuler gewachsen sind, die Hände, sie bekamen fast Krallen. Ihre Heilkraft scheint so gut zu sein wie damals. Sie können die übernommenen Körper nach ihren Bedürfnissen formen. Genmanipulation im laufenden Betrieb sozusagen. Wir haben es mit einer vollkommen neuen Art von Ersten zu tun.“
„Deswegen sind Sie gefragt Alice. Der Rat von Europa und der Rat der Kolonie geben Ihnen alle nötigen Befugnisse. Sie bekommen das Kommando über eine spezielle Einheit. Tun Sie, was zu tun ist. Bringen Sie die Situation unter Kontrolle.“
„Das ist eine ungewohnte Aufgabe.“
„Man vertraut Ihnen und Ihren Fähigkeiten. Greifen Sie hart durch. Denken Sie immer daran: Es sind die Ersten, sie gehören nicht zu uns. Sie morden den Geist ihrer Wirte und sie werden bald offen angreifen.“
„Ich verstehe, ich werde mein Bestes geben.“
Rat Zarzar nickte zufrieden. „Das wollte ich von Ihnen hören.“
Der Kuckuck schnellte aus dem kostbaren Uhrgehäuse des Rates hervor und rief, den Schnabel frech aufgerissen, sein penetrantes Kuckuckslied.
Frau Major Stein-Lumen stand vor Feldwebel Heinz Wasserkopp und den anderen Gruppenführern, aufrecht, fest verwurzelt, eine germanische Göttin, herabgestiegen auf die trübe Erde. „Machen Sie Ihre schwierige Arbeit so gut, wie es geht!“
„Zu Befehl!“, bellte es aus Heinz Wasserkopp heraus.
„Sie haben ja gute Reflexe. Waren wohl vorher bei der Armee?“
Heinz bejahte das.
„Dann ist es verständlich. Sie halten an alten Gewohnheiten fest.“ Sie ließ den Blick über die Anwesenden wandern. „Ein Laster, das uns allen nicht fremd ist. Aber diese Zeiten sind vorbei, wir geben einander keine Befehle. Wir bitten um Unterstützung. Wir sind alle aufeinander angewiesen. Ich brauche Sie, die Sie hier stehen, brauche die Menschen dieses Landes, egal ob Infizierte, Europabewohner, Enceladusaner oder natürliche Menschen. Und all die Leute da draußen, sie brauchen uns. Die Zeiten, die kommen, werden nicht einfach sein. Nach den Jahren des Friedens und Fortschritts, nach den so schönen Jahren, in denen die Freundschaft zwischen der Erde und den Eismonden gedeihen konnte, werden wir angegriffen. Eine gemeine Kreatur streckt die Krallen nach uns aus. Wir sind allerdings nicht wehrlos, wir sind eins, wir haben uns und können einander vertrauen. Darin liegt unsere Stärke. Ich stehe hier vor Ihnen in dieser wunderbaren Uniform mit allen diesen vielen gewiss wichtigen Abzeichen. Ich sage ihnen: Ich weiß nicht, was die Abzeichen alle bedeuten sollen. Wir haben gelernt, dass ein Soldat stark sein muss. Unter meiner schönen Uniform bin ich aber schwach, genauso, wie wir in Wirklichkeit alle schwach sind. Wir haben Fehler und wir haben Zweifel, gewiss, dennoch existiert eine Stärke, die uns leitet, weil wir wissen, wir sind nicht allein, denn unsere Herzen schlagen im gleichen Takt. Bitte, denken Sie daran, fühlen Sie immer wieder Ihr Herz, wenn sie Ihren wertvollen Dienst tun, für mich, für sich selbst, für alle, die in diesem Land leben, für uns!“ Sie lächelte, grüßte und ging.
„Mann, also reden kann sie ja“, sagte der Gruppenführer neben Heinz, „da braucht's gewiss keine Befehle mehr, die wickelt einen ja glatt um den Finger, ohne dass man's merkt.“
„Aber sie hat recht mit dem, was sie sagt. Wir sind alle füreinander da“, sagte Heinz mit fester Stimme.
„Das wollte ich nicht anzweifeln, keineswegs.“
„Natürlich nicht. Sie haben sich nur zu einer unausgereiften Formulierung hinreißen lassen. Wie sie sagte: Wir sind schwach, wenn wir uns nicht auf unsere wahre Kraft besinnen, auf die Werte, die wir verteidigen müssen und wollen. Auch ich war schwach, als mir dieses: zu Befehl! – herausgerutscht ist. Nur Sklaven können Befehle empfangen. Wir aber sind keine Gesellschaft mehr von Herren und Sklaven, wir sind Schwestern und Brüder.“ Nach diesen Worten verließ Heinz den Raum und ging die Treppe hinunter. Er fühlte sich erhaben, denn er stand auf der richtigen Seite. Zudem hatte er es zu etwas gebracht. Der Weg war steinig gewesen, manches Mal musste er vor Leuten buckeln, die er innerlich verachtet hatte, anderen gegenüber musste er mit übermäßiger Strenge entgegenkommen. Er mochte sich dabei nicht immer leiden. Aber das lag hinter ihm, er konnte endlich dem Guten dienen, er war ein Führer, ein Kämpfer, ein Licht in einer Welt, über die sich drohend ein großer Schatten ausrollte.
Unten wartete sein Fahrer auf ihn. Er stieg in den Jeep. „Ich sage Ihnen, Korporal Schulze, das ist eine wahnsinnige Frau, die Frau Major. Diese Ausstrahlung – unglaublich! Sie hätte vor der ganzen Mannschaft reden sollen, nicht vor den Gruppenführern. Na ja, kommt vielleicht noch. So, erst mal ist nächste Woche Tagesschicht angesagt. Unauffälliges jagen von Ersten, oder Kuckucke, wie man sie neuerdings nennt. Ist jedenfalls besser, als sich nachts mit einer ganzen Meute von denen herumzuschlagen.“
„Wie sollen wir eigentlich mit den Kindern verfahren?“
„Na die soll man nicht betäuben, zumindest nicht bis zu einem gewissen Alter, zehn oder so, die könnten sonst wegsterben. Allerdings ist das so eine Sache, denn wer kann das immer so genau abschätzen. Kommt eben auf die Situation an.“
„Die haben sich aber auch vermehrt wie die Pocken Feldwebel, jetzt hängen sie uns am Halse und wir müssen sehn, wie wir das Pack wieder loswerden.“
„Keine Sorge Korporal, die werden wir wieder los. Dazu sind wir ja da. Morgen hab ich erst mal frei, dann vergesse ich die ganze Scheiße. Ich werde mit meiner Tochter in den Zoo gehn. Die Kleine liebt ja Tiere abgöttisch. Unterdessen wird meine Frau Apfelkuchen backen. Der ist absolut köstlich, as kann ich Ihnen sagen, nicht so was, was sie Ihnen im Supermarkt andrehen. Sie sollten auch ... ich meine erst mit einem Kind ist man eine richtige Familie.“
„Sie haben da wohl recht. Wir arbeiten dran.“
„Das ist die richtige Einstellung Korporal!“