Sonntag, 27. Februar 2022

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Rat Zarzar schaute Alice an, blickte zu Christian hinüber, dann nickte er. „Ich denke, sie sollte es erfahren.“

Alice atmete tief durch und begann: „Wir sind keine Aliens, die sich in die Angelegenheit einer anderen Spezies einmischen. Es ist vielmehr so: Wir regeln Familienangelegenheiten.“

Karen verstand nicht: „Was bedeutet das – Familienangelegenheiten?“

Alice erklärte: „Wir kümmern uns um euch, weil – also: Ihr seid wir und wir sind ihr. Man hilft sich eben untereinander. Kurz: Wir gehören zu ein und derselben Gattung.“

Karen glotzte verständnislos. „Wie jetzt? Ihr habt euch doch auf Europa entwickelt und lebt normalerweise unter Wasser, wir dagegen stammen von primitiven Primaten ab.“

„Das stimmt nicht“, behauptete Alice, „und die von Enceladus gehören auch dazu. Es gibt nur eine Spezies. Wir kamen von Spirichotos, einem Sonnensystem mit achtzehn Planeten und neun Eismonden. Wir bewohnten alle Eismonde unseres Systems. Im Laufe der Jahrmillionen zeigte unsere Sonne deutliche Spuren ihres Alterungsprozesses. Sie starb. So traten wir eine weite Reise an. Die Raumschiffe teilten sich auf, jede Flotte nahm eine andere Richtung. Unsere Vorfahren gehörten zu denen, die auf dieses Sonnensystem stießen. Europa, Enceladus und die Erde sahen vielversprechend aus. Die Erde zeigte sich bereits bewohnt. Eine biologische Evolution fand auf ihr statt. Man stieß dort auf Pflanzen und allerlei Getier. Ein Teil von uns scherte sich nicht darum und fand es spannend, sich in ein bestehendes ökologisches System einzubinden. Jene, die auf Europa siedelten, erschufen etliche Lebewesen, die das Meer unter der Eisschicht besiedelten, somit konnten optimale Voraussetzungen für eine Zivilisation entstehen. Der Teil von uns, der nach Enceladus zog, bevorzugte die Askese und wurde in Höhlen unterhalb des Eismeeres glücklich. Diejenigen nun, welche auf der Erde eine neue Heimat finden wollten, benötigten besondere Körper. Sie konnten sich ihre Umwelt nur bedingt gestalten, ihr Ziel war es ja, sich in diese neue Welt so einzubringen, als wären sie deren Kinder, wie all die Tiere der Luft, des Wassers und der Erde. Sie setzen auf das Bestehende und veränderten es geringfügig. So orientierten sie sich an den Genen der Vorfahren jener Affen, die man heute Schimpansen nennt. Damit stellten sie die Matrix für ihre neuen Körper her“.

„Deshalb sind die Schimpansen uns genetisch so ähnlich“, bemerkte Karen.

Alice nickte. „Aber sie brauchten mehr als nur einen vielversprechenden Körper, um in der neuen Umwelt zu überleben: nämlich Instinkte. Auch diese übernahmen sie von den Halbaffen. Die Primatengene sind und waren ihr Problem. Sie konnten sich mit ihnen gut anpassen und durchsetzen, aber die tierischen Instinkte führten zur Verwilderung. Wir, die wir auf Europa und Enceladus lebten, beschworen sie, dem entgegenzuwirken. Das aber lehnten sie ab. Sie wollten etwas Neues aus sich machen, es sollte unvorhersehbar sein, indem sie der Evolution auf diesem Planeten Macht über sich gaben. Diesen Weg schlugen sie ein, bereit, ihn bis zum Ende gehen, koste es, was es wolle. Sie setzten einen Nichteinmischungsvertrag auf, den Europa und Enceladus unterschrieben. Sie wollten in Ruhe gelassen werden. Wir anderen kamen ihrem Wunsch nach.

In der Zeit, die folgte, gaben sich die Erdbewohner immer mehr ihren tierischen Trieben hin, bis jede Spur von Zivilisation abhandenkam, ja – bis sie vergessen hatten, wer sie waren und woher sie gekommen sind. Nach einer langen Zeit besuchten wir sie wieder, um nachzusehen, wie es ihnen geht. Sie hatten unterdessen primitive Kulturen geschaffen, waren aber auch in etlichen Streitereien und Kriegen verzettelt. Das Gift der Dummheit und Kleinlichkeit floss in ihrem Blut, ihr Leben war mühselig, ein feierliches Strahlen über ihnen lauerte ständig der Schatten der Angst. Sie entsannen sich weder an ihre Geschwister auf Europa, noch an jene, die auf Enceladus lebten. Ja selbst den Vertrag, in dem festgelegt wurde, dass wir sie in Ruhe lassen sollten, hatten sie vergessen. Also fragen wir uns, ob der Vertrag unter diesen Umständen noch gültig war. Wir kamen zum Schluss, dass er seine Gültigkeit verloren hatte. Somit nahmen wir uns das Recht, uns wieder einzumischen. Wir wollten ihnen das Elend ersparen, in das sie, angefüllt mit unberechenbaren Trieben, hineingeraten waren, wollten ihr Bewusstsein anheben, ihnen helfen, eine höhere Stufe kultureller Entwicklung zu erreichen. Wir unterstützten sie beispielsweise bei technischen Neuerungen.“

Hier unterbrach Christian: „Und es ging schief.“

Alice presste die Lippen zusammen, sie nickte zögerlich. Manches Mal habe man auf der Erde falsche Schlüsse aus gut gemeinten Eingriffen gezogen. Auch seien große Religionen entstanden, Geschichten von Göttern, Zauberern und Engeln machten die Runde und bildeten das kulturelle Erbe künftiger Epochen.

„Verdammt, ihr seid Engel!“, rief Karen aus.

„Nun, in den Augen einiger Menschen waren wir das. Auch nannte man uns Propheten, Wundertäter, sogar als Hexen mussten wir uns beschimpfen lassen. Man dichtete Legenden, Priester sahen in uns etwas, was wir nicht sein wollten. Du kennst die Geschichte ja. Und ...“

„Ideologien machte man aus allem, Dogmen“, ergänzte Christian Alice´ Ausführungen.

„Und dann?“, fragte Karen.

Alice vollzog eine Bewegung, als wolle sie etwas aus der Luft pflücken. „Die Enceladusaner haben sich gemeldet. Sie meinten, man müsse die alten Verträge weiterhin anerkennen, und dass es ein Fehler gewesen sei, in das Geschick der Erde einzugreifen. So ganz unrecht hatten sie ja nicht damit. Erst kamen die Religionen, dann die Intoleranz, der folgten die Kriege auf wie Schmeißfliegen dem Gestank. Und vieles, was wir gelehrt hatten, wurde verdreht. Es gibt nur eine Wahrheit, wurde zu: Es gibt allein unsere Wahrheit. Aus der Maxime: Euer Herz wird umso froher sein, je mehr ihr mit dem Strom des Lebens fließt, machte man: Wenn ihr sündigt, sollt ihr in der Hölle schmoren, oder auch: Im nächsten Leben wird es euch übel ergehen, wenn ihr nicht dreimal täglich den Kopf in die heilige Jauche des Ganges steckt.“

Christian erzählte weiter: „Wir haben nicht aufgegeben, obwohl wenig Gutes aus der besten Absicht kam. Die Bewohner von Enceladus, die sich vor Eingriffe, wie wir sie ausübten, scheuten, sahen unser Treiben mit Unmut. Ihrer Meinung nach sollten wir die alten Verträge wieder anerkennen. Immerhin wollten die Menschen ihren Weg ohne Hilfe gehen. Man fand auf Enceladus keinen Grund dafür, es ihnen zu verweigern. Wir haben das natürlich anders gesehen. Unser Mitleid trieb uns weiter an. Wir wollten diese Wesen, stammten sie doch aus der gleichen Quelle wie wir, immer wieder neu erwecken, sie aus dem Schlaf reißen, in den sie gefallen waren. Wodurch die Konflikte zwischen uns und Enceladus allerdings weiter anwuchsen. Dort kapselte man sich mehr und mehr von uns ab. Immerhin waren wir die bösen Vertragsbrecher. Selbstverständlich wollten wir auch künftig die Situation auf der Erde verbessern. Wer schaut schon zu, wenn ein Kranker um sich schlägt und sich dabei selbst verletzt? Es war wie verhext, die ganze Erde schien immun gegen die Vernunft zu sein. Weisheiten verwandelten sich zu Dogmen, technische Errungenschaften nutzte man als Waffen. Fast hätten wir unser Unterfangen aufgegeben, aber einen Versuch wollte man noch wagen. Vielleicht, so sagte man sich, sei die Menschheit endlich reif für die Segnungen, die wir ihnen offerieren könnten. Diesmal wollten wir ein großes Geschenk überreichen. Leider sind dabei, wie man auf Europa bemerkte, einige Kolonisten zu weit gegangen. So geschah es: das innere Sehen und das Rippen wurden zur Erde gebracht. Ich hielt das von vornherein für eine gefährliche Angelegenheit, wenn man eine derartige Macht unreifen Wesen überlässt..“

„Ob du mit dieser Macht immer in einer reifen Art und Weise umgegangen bist, möchte ich anzweifeln, ohne dich dafür verurteilen zu wollen“, zischte Alice und bohrte ihren Blick in Christian hinein, als wolle sie ihn damit aufspießen.

Rat Zarzar nahm das Wort an sich. „Als die Leute, die Min-Jee rekrutiert hat, immer dreister agierten und immer brutaler gegen die Infizierten und gegen uns vorgingen, ist die Sache eskaliert. Und das, ich möchte das ausdrücklich betonen, aufgrund jener indirekten Einmischung der Enceladusaner, die ihre eigenen Taten nicht als Einmischung wahrnehmen wollen oder können. Der Rat auf Europa sah sich gezwungen, eine Nachricht an die Regierung von Enceladus zu senden. Ein Versuch, die diplomatischen Beziehungen aufleben zu lassen.“

„Es war weniger eine Nachricht, mehr eine Drohung“, korrigierte Christian.

Rat Zarzar nickte. „Es war ein Hinweis darauf, dass wir es nicht akzeptieren würden, wenn sie gewisse Grenzen übersähen. Ein kleines Manöver unserer Raumflotte sollte der Botschaft Nachdruck verleihen. Natürlich sahen sie sich dadurch behindert, ihre Absichten zu verwirklichen. Wir vermuten, sie schmieden einen finsteren Plan. Sie halten sich gerne an einem Ort auf, den man sich als eine energetische Vorstufe der materiellen Welt vorstellen kann. Von dort aus können sie allerhand gegen uns unternehmen. Die Situation zwischen uns und Enceladus ist verwickelt und wir müssen sehen, dass wir da heil herauskommen. Zumal Europas Bewohner in letzter Zeit von einer gewissen Schwächung heimgesucht werden, die ihre seherischen Fähigkeiten beeinträchtigt.“

„Also, ich fasse zusammen, nicht, dass ich was versäumt habe“, sagte Karen. „Es gibt keine Außerirdischen im eigentlichen Sinne, weil wir Menschen selbst die Außerirdischen sind. Die anderen sind auch wir, nur sie haben sich woanders weiterentwickelt. Um den Erdenbewohnern zu helfen, haben die Bewohner Europas in unser Schicksal eingegriffen. Das gefiel den Schwestern und Brüdern auf Enceladus nicht, weil sie die Verträge über die Nichteinmischung in die Angelegenheiten der Erde, die man einst abgeschlossen hatte, immer noch für gültig hielten. Außerdem ging einiges schief. Aus dem, was als Hilfe gedacht war, ist oft nichts Gutes entstanden. Und aus dem allen entwickelten sich die Spannungen, die in einer Katastrophe enden könnten. Ist das so?“

„Genauso ist es“, bestätigte der Rat unterstrichen von einem unbeholfenen Nicken seines Kopfes. „Wir können die Katastrophe abwenden. Wir kennen die Quelle der enceladusischen Energie auf der Erde. Wir werden und müssen mit allen Mitteln …“

„Wir wissen, was Sie meinen Rat Zarzar. Wir werden der Herausforderung begegnen, mit allen Mitteln, wie Sie es sagten“, versprach Alice und bemühte sich dabei, mehr Zuversicht auszustrahlen, als sie hatte.


Das Tor schloss sich hinter ihm. Die Sonne durchwärmte die Luft. Vogelgesänge gaben dem Augenblick, der Freiheit hieß, ein feierliches Strahlen. Er blickte sich nicht um. Die Gefangenschaft lag blass wie eine öde Landschaft in seiner Erinnerung. Er hatte die Strafe dafür, dass er seine Meinung gesagt hatte, redlich abgesessen. Leo kam auf ihn zu und umarmte ihn herzlich. Andy hatte das schon einmal erlebt. Die Zeit begann, eine neue Schleife zu ziehen. Aber die Geschehnisse mussten diesmal anders ablaufen, oder die Erde wäre demnächst nicht einmal mehr eine Erinnerung.

„Beate muss wohl noch arbeiten“, sagte Andy.

„Ja, du weißt ja, sie hat diesen Job. Sie ist immer bis zum Abend beschäftigt.“

„Gewiss, ich weiß. Zur Feier des Tages sollten wir erst mal was kiffen.“

Leo nickte. „Mann, da hast du direkt meine Gedanken gelesen. Habe astreinen Stoff. Am besten, wir gehen gleich zu mir. Beate wird später nachkommen.“


Der Stoff war wirklich astrein. Leo kaufte immer das beste Dope. Nach der Legalisierung war die Qualität nicht schlechter geworden, man zahlte nur mehr dafür. Zweifellos, das gleiche starke Cannabis, sativalastig, genau wie schon einmal, wie in der ersten Realität, als das alles so ähnlich passiert war. Jetzt lief die zweite Realität ab, dank der Macht der Aliens. Er konnte es nicht recht fassen, er war wirklich mittendrin, lebte sein zweites Leben, hatte eine Möglichkeit, von der viele träumten: Er könnte alles anders machen, besser machen als beim ersten Durchlauf. Aber er war nicht froh darüber. Ein immenses Gewicht lastete ihm auf den Schultern: die Verantwortung für die Zukunft des Planeten. Er hatte nicht um diese Verantwortung gebettelt. Was sollte er machen? Nun war die Situation, wie sie war. Er hatte seine Rolle zu spielen, so gut, wir er konnte, oder bumm! Erde Ade. Er blickte nach innen. Musik wogte durch den Raum. Er spürte Vertrauen in sich. Vielleicht hatten die Außerirdischen diese Empfindung in seinen Geist eingepflanzt, oder es war der Stoff, der eine Tür in ihm geöffnet hatte, hinter der dieses Vertrauen wohnte, oder beides war nicht voneinander zu trennen, oder nichts war voneinander zu trennen und eines floss ins andere – wie zwei Tropfen, die sich treffen und – Blub – ein Tropfen bleibt übrig, ein verdammter Tropfen, der alles und nichts ist, oder der Atemzug, den er jetzt tat, der geschah, wie ein Tanz, wie es auch ein Tanz sein musste, der den Mond in seiner Umlaufbahn hielt. Es klingelte. Beate kam, trat ins Zimmer. Er und Beate umarmten sich. Es war wie beim ersten Mal. Nein, doch nicht. In der Erinnerung war ihm die Umarmung länger vorgekommen, heftiger. Aber die Erinnerung ist eine Betrügerin. Es musste ja eine andere Umarmung sein. Er war nicht mehr derselbe, seit ihm klar geworden ist, was kommen würde. Die Menschen konnten nicht anders, sie würden auf ihn nicht genauso reagieren wie im ersten Durchlauf. „Was gibt es Neues?“, fragte er Beate, denn ihm war klar, dass ihr die Geschichte von Min-Jee auf der Zunge brannte. Seine Frage zeigte nicht die Wirkung, die er beabsichtigt hatte, nämlich, dass sie so rasch wie möglich von Min-Jee erzählte. Sie sagte ihm, er solle sich erst einmal ausruhen. So dauerte es eine Weile, bis sie ihre Geschichte zum Besten gab. Auch hörte sich alles ein wenig anders an, als er es in Erinnerung hatte. Die alte Zeit wurde überschrieben von der neuen Zeit, von ihm und von seinen Handlungen, die auf seine Umgebung wirkten. Er tat überrascht und ungläubig, als er von Min-Jee und deren Fähigkeiten hörte. Natürlich durften Beate und Leo nichts von der Sache erfahren, von der Zeit und wie sie manipuliert wurde, davon, dass er den gleichen Zeitraum zum zweiten Mal durchschritt. Auch würden sie ihm nicht glauben. Es war zu absurd. Wer würde ihn für voll nehmen, wenn er erzählte, er sei dazu bestimmt, die Welt zu retten? Es war Wahnsinn, gewiss. Dieser Wahnsinn aber bestand nicht darin, dass er sich etwas Absurdes einbildete, sondern, dass es Real war.

Es kam der Moment, in dem Beate Leo und ihn mit der Kraft Min-Jees infizierte, mit jener Kraft, die in Wirklichkeit, wie er wusste, von den Enceladusanern stammte. Das wichtigste Ziel für ihn hieß, Min-Jee zu stoppen. Wenn sie nicht mehr weiter immer neue Kampfgefährten produzieren könnte, würden die Angriffe auf die Europa-Aliens und ihre Verbündeten, den sogenannten Infizierten, nachlassen und bald gänzlich enden. Somit könnte die Regierung des Europamondes eine diplomatische Lösung für die Streitigkeiten mit den Enceladusaner finden. Der Krieg, der die Erde verdampfen ließe, würde nie stattfinden. Soweit die Theorie. Aber welche Folgen hätte der Angriff auf Min-Jee? Andy begann, sich vor der Zukunft zu fürchten. Sie war und blieb ein unberechenbares Etwas. Drohend warf sie ihre Schatten in das Jetzt.


Nachdem Beate Andy mit der Energie, deren Quelle Min-Jee war, infiziert hatte, war er ein Anhänger der Bewegung geworden, die sich für den Kampf gegen die Außerirdischen rüstete. Zumindest tat er so. Er lebte ständig im Zustand einer leichten Paranoia. Es war ihm klar, dass Min-Jees Bewegung beobachtet wurde, dass auch er im Fokus der Aufmerksamkeit stand. Sie hatten es ihm ja gesagt, die Bewohner von Europa, unten am Meeresgrund, bevor alles Wasser verdampfte. Sie selbst konnten davon nichts mehr wissen. Er allein wusste es, alles wusste er. Man hatte ihn ausgewählt, er durfte nicht versagen. Langsam wurde es Zeit, mit ihnen in Kontakt zu treten, ihnen zu sagen, was ihr eigener Plan gewesen war, welches Grauen die Zukunft bereithielt, wenn man die Geschichte nicht ändern würde.

Andy pirschte wachsam um den Häuserblock. Seit die Energie der Enceladusaner in ihm floss, schien es ihm ein Leichtes, die Wesen vom Europamond oder ihre Infizierten aufzuspüren. Er besaß dafür eine innere Antenne, die sofort auf die Energie des vermeintlichen Feindes anschlug. Und dann war es soweit, sein Körper reagierte wie auf eine Gefahr, die ihn für Flucht oder Angriff bereit machte. Er ignoriere diese Signale und ging auf zwei Infizierte zu. Er blieb vor ihnen stehen und sagte: „Ich muss Alice sprechen.“

Sie schauten ihn verwundert an und gingen weiter. Offenbar hatten sie keine Gefahr in ihm gesehen. In der Folge wiederholte Andy dieses Spiel mit anderen Infizierten, an anderen Orten, solange, bis seine Versuche eines Tages Früchte trugen. Langersehnt und unverhofft stand sie in einer glückseligen Sekunde vor ihm.

„Mir kam zu Ohren, Sie suchen mich. Es ist die Frage zu klären, woher Sie meinen Namen wissen“, sagte sie mit warmer Stimme.

„Wir kennen uns“, sprach Andy erregt, „Sie haben mir alles erzählt, Sie und die andere Frau, unten, unter Wasser, wo es diese Stadt gibt, die Kolonie. Hören Sie, es war damals, es war in der Zukunft. Nein, ich bin nicht irre. Sie haben mich losgeschickt, Ihnen eine Botschaft zu bringen. Es ist wichtig, es hängt vieles davon ab! Ach, was sage ich! Alles hängt davon ab, das Leben von drei Welten hängt davon ab. Wir sterben, verstehen Sie. Ich sterbe, Sie sterben, alle gehen drauf. Es ist der Krieg, der Kampf zwischen Europa und Enceladus. Die Erde wird unter Beschuss genommen, das Meer verdampft. Es war in der Zukunft. Ich war dabei.“

„In der Zukunft?“, fragte Alice.

„Ja, diese Zukunft ist meine Vergangenheit. Ich weiß nicht, warum Sie es nicht selbst sehen können, ich meine bei Ihren Fähigkeiten, vielleicht wurden sie geschwächt oder so. Sie und Ihre Leute haben alles zurückgedreht, ich meine die Zeit, wie eine Uhr, einfach so. Jetzt fängt es wieder von vorne an, mit dem Unterschied, dass ich alles weiß und dass ich es verändern kann. Ich erlebe noch einmal, was gewesen ist, nur ein wenig anders. Die alte Zeit wird überschrieben. Wir müssen nicht im Krieg sterben. Wie das genau funktioniert, weiß ich nicht. Mir ist nur klar, dass die Welt untergehen wird, wenn ich die Dinge nicht ändere, wenn wir die Dinge nicht ändern. Und nun versuche ich, Ihnen zu sagen, was Sie mir aufgetragen haben in jener anderen Zeit, in der möglichen Zukunft, die nicht kommen soll und hoffentlich nie kommen wird.“

„Gut“, sagte Alice, „weiter.“

Andy erzählte alles, was sie wissen musste – von dem Konflikt zwischen Europa und Enceladus, und wie alles in einer Katastrophe endete.

„Ich spüre, dass es die Wahrheit ist. Wir sollten umsichtig handeln. Wahrscheinlich bietet sich nicht noch einmal die Möglichkeit, die Zeit auf diese Art und Weise zurückzuspulen. Fehler können wir uns nicht leisten. Es steht viel auf dem Spiel. Alles.“

Stumm nickte Andy und er spürte, wie dabei eine gewaltige Last auf ihn niedersank. Er könnte von ihr zerquetscht werden, jederzeit.

„Min-Jee“, sagte Alice, „wir müssen ihre Energie entladen und sie vom Nachschub abschneiden; erst dann ist die Gefahr vorüber. Die Enceladusaner brauchen Min-Jee, denn sie selbst betreten die Erde nicht. Es sind seltsame Wesen, sie haben da so alte Verträge aufbewahrt, sie werden sich daran halten, beziehungsweise an ihre eigene Auslegung der Verträge. Und das besagt nichts Gutes. Also, wir sollten folgendermaßen vorgehen …“


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