Teil 13
Jetzt blätterte sich im Buch der Erinnerung eine neue Seite auf, eine farbige, wunderschöne. Er sah ein Fest vor sich, es war eines der großen Feste auf Europa. Millionen Körper formten eine Spirale, die sich wild durchs Meer schraubte. Ein Spektakel aus Licht und Mustern. Gleichsam glühten unzählige Punkte auf, sie verbanden sich zu einem Netz, zu einem einzigen Geist, zum Geist von Europa. Der kollektive Wille schuf ein gigantisches Raumschiff, das bis zum Zentrum des Universums reiste, wo es sich freudig in das Nichtseiende-Sein stürzte, und tief ins Zentrum des Himmels eindrang. Dort verschmolz das Bewusstseinsschiff mit dem Weltherzen. Zeitlos ruhte es in ewiger Stille, heller strahlend als alle Sonnen.
Eine andere Erinnerung stieg auf: Fern der heißen Quellen schwebten die Weltendenker, dort wo die Kühle des Waassers einem aufs Gemüt schlug, dennoch den Geist erfrischte; dort wo kleine silberne Tiere mit durchsichtigen Flossen zitterten und in Schwärmen durch eine von Leuchtalgen bestrahlte bläulich grüne Dunkelheit tanzten. Philphil und sein Freund Chrochro hatten sich an diesem Tag zu einem Abenteuer aufgemacht, sie wollten die Weltendenker besuchen. Es gab an diesem Ort nicht viel zu sehen, außer etliche Nebelschwaden aus flimmerndem Plankton, der von der Strömung zu immer neuen Gebilden geformt und geknetet wurde. Die beiden Freunde blickten mit Ehrfurcht auf die Weltendenker. Diese alten Wesen trieben reglos in den tiefen Spalten des Ozeans dahin, während sie ihren Geist auf den inneren schöpferischen Prozess gerichtet hielten.
„Das sind sie also, die Weltendenker, von denen es heißt, sie sind so weise, dass sie die Fäden des Schicksals weiter verfolgen können als jeder andere“, bemerkte Chrochro.
„Hoffen wir, dass einer von ihnen zu uns spricht.“
„Sie sind da äußerst eigen, heißt es, sie reden, wenn sie es für angemessen halten, und das ist selten.“
„Ich frage mich, wie das geht, dieses erdenken von Welten. Was weißt du darüber Chrochro?“
„Es soll wohl mehr ein Träumen sein als ein Denken. Wenn wir träumen, so wirkt das sich nicht direkt auf die Materie aus. Unsere Traumwelten bleiben hypothetisch. Ihre Welten aber realisieren sich. Auf fernen Planeten und Monden wird Wirklichkeit, was ihr Geist sich erspinnt. So sagt man zumindest.“
Philphil zappelte mit den Flossenarmen. „Aber es ist und bleibt doch ein Traum, der Traum der Weltendenker. Sicherlich, über einen geträumten Stein kann man stolpern, eine Traumgestalt kann man sehen. Hat diese Gestalt eine unabhängige Wirklichkeit, fühlt und denkt sie wie wir?“
„Eine wirklich tiefe Frage! Alles ist Teil des jeweiligen Weltendenkers. Die erträumten Wesen sind nichts Eigenständiges. Sie sind nur die Masken des Träumers. Wenn sich aber der Träumer in seiner Traumwelt verliert, so erscheint ihm diese als einzige Realität. Ein geträumtes Wesen mag durchaus, wenn es sich verletzt, Schmerz empfinden, einen Schmerz, der immer schon im Träumer gesteckt hat, der sich ausdrücken und befreien will.“
„Gut, aber wer spürt den Schmerz?“, fragte Philphil. „Wer hat den Schmerz in den Träumer gesetzt, wer träumt den Träumer?“
Chrochro pendelte im Wasser hin und her. „Der Träumer folgt dem Faden des Schicksals. Niemand träumt den Träumer. Die Weltendenker werden nicht von einem weiteren Weltendenker erdacht. Wir kämen dann ja zu einer endlosen Kette von Träumern, die Träumer träumen. Die Fäden des Schicksals bestehen einfach auch einer Energie, die vom Zentrum des Universums ausströmt, wie du ja weißt.“
„Was ist dieses Zentrum wirklich?“, fragte Philphil, mit unermesslichen Wissenshunger.
„Das Zentrum ist das, woraus die Fäden des Schicksals kommen“, erklärte Chrochro kurz und bündig.
„Gut, lass uns nicht weiter grübeln, lass uns lieber einen der Weltendenker befragen, was die Zukunft uns bringt“, drängte Philphil.
Chrochro näherte sich vorsichtig einem der Weltendenker, der in sich versunken vor ihnen schwamm, und berührte scheu einen seiner Flossenarme. Langsam wandte der Weltendenker seinen Kopf den beiden Jungs zu. Eindringlich prüfend schaute er sie an. „Aha, wieder welche, die es nicht erwarten können, zu erfahren, wie die Zukunft aussieht! Es leben im Universum Wesen, die können nicht einmal ein wenig in die Zukunft schauen, wie es hier auf unserer Welt üblich ist. Ihr seid begnadet, aber das reicht euch nicht, ihr wollt mehr wissen, getrieben von unbändiger Neugier. Warum? Weil es euch an Vertrauen fehlt. Damit beginnt der Irrtum. Ihr seid noch jung, darum ist eure Schwäche geduldet. Wir Weltendenker setzen unendliches Vertrauen in allen unserem Geist entsprungenen Welten. Und auch die geschaffenen Welten können uns vertrauen; denn wir folgen den Fäden des Schicksals, nur sie bestimmen unsere Handlungen. Alle Fäden wurden von der Allmacht geknüpft. Das reicht, um zu vertrauen. Deshalb muss man auch nichts wissen; es reicht, zu sein. Für so manche wird das Wissen zum Gift, das Zwietracht bringt, wo Frieden herrschte. Unzählige Welten habe ich erträumt. Ich erblickte aufstrebende Planeten, deren Bewohner die besten Anlagen zeigten; oft aber blieben ihre Seelen blind, da ein jeder nur sich sah und seinen engeren Kreis. Man kämpfte und gewann dadurch an Stärke, die Kriege aber wollten nicht enden. Es blieben nur Trümmer übrig und trauernde Herzen. So erträumte ich sehende Seelen, sie sprachen die Wahrheit zu den ewig Kämpfenden. Manches Mal schlug man diese Mahner tot, oft hörte man auch auf ihre Worte, wenn man müde geworden war von all den Kämpfen und es allen zu ekeln begann, wegen des vielen Blutes und des Fleisches, das sinnlos verweste. Darum wisst: Kraft ohne Weisheit führt zum Untergang. Wahre Weisheit blickt über die Grenzen bis hin zum Herzen des großen Ozeans, in dem die Sterne schwimmen.
Noch seid ihr jung an Körper und Geist, das Leben ist euch ein leichter Rausch, auch ohne Weisheit. Bald schon wird der Ehrgeiz an euch nagen, er kommt nicht allein, sondern wird seine Gesellen mitbringen: das Wissen und die Macht. Mit solchen Gaben ist sorgsam umzugehen. Oft schadet die edelste Absicht und die Fäden des Schicksals verheddern sich. In der alten Zeit waren die Fäden harmonisch zu einem Seil geflochten. Alle Schicksale erfüllten sich, indem jedes Wesen zur Musik des Lebens tanzte, ein jegliches nach seiner Art. irgendwann kam der Gedanke in den Tanzenden auf, dass der Schicksalsfaden, an dem sie hingen, ihr Eigentum sei, mit dem sie machen konnten, was immer sie wollten. Jetzt begannen sie nach dem Faden zu greifen, zu ziehen und daran zu zerren, damit ihr eigener Wille sich durchsetze. Ja selbst nach den Fäden anderer Wesen langten sie aus, nach solchen, die ihnen im Wege schienen. Sie schoben sie frech beiseite, damit ihr eigener Faden mehr Platz bekäme für seine wirren Verwicklungen. Da alle so handelten, begann die große Verknotung. Je mehr Knoten entstanden, umso heftiger wurde gekämpft, damit man seinen Faden wieder entknoten konnte. Aber es funktionierte nicht. Das Gegenteil geschah: Die Fäden gerieten in ein größeres Durcheinander und daraus wuchsen Leid und Vernichtung. Bald wusste man nichts mehr von dem Seil, das aus all den Schicksalsfäden gebunden war. Man sah nur noch Fäden und kannte deren Bedeutung nicht mehr. Dennoch tauchten immer wieder Einzelne auf, die erkannten, dass alle Fäden der Welt Teil eines einzigen Seiles bildeten, des großen Fadens, der im Herzen des Sternenozeans begann und endete.
Haltet diese Weisheit in Ehren. Mehr müsst ihr nicht wissen. Und vertraut dem Unbekannten!“, so sprach der alte Weltendenker und schwieg. Gewiss hatte er begonnen, eine neue Welt zu träumen.
Nachdenklich verließen die beiden Freunde diesen Ort.
Eine weitere Erinnerung: Er sah Chrochro vor sich. Die Jugendzeit war vergangen. Sein Freund hatte eine vielversprechende Karriere bei der Regierung begonnen.
„Lieber Philphil“, sagte Chrochro, „wir leben in aufregenden Zeiten. Man will wieder Neues entdecken. Ich habe gehört, dass du uns verlassen möchtest, um die Erdkolonie mit aufzubauen. Gern würde ich mit dir kommen, aber meine Schicksalslinie verläuft anders. Ich diene Europa besser, wenn ich hierbleibe und für die Regierung arbeite, die uns bisher so weise geleitet hat.“
Philphil dunkelte seine Farbe etwas ab und bewegte seinen rechten Flossenarm in Richtung Kopf. „So gerne ich dich bei mir hätte, dort in der Fremde, auf der Erde, so verstehe ich, dass du deinem Ruf folgen musst, der dir sagt: Dein Platz ist auf Europa.“
„Wenn du dort bist, da unten in der Tiefe, im fernen Meer der Erde, gib auf dich acht. Die Schwingungen, die wir von der Erde aufnehmen, sprechen von Kampf und Lüge.“
„Gewiss Chrochro, ich werde aufpassen und den seltsamen Wesen dort aus dem Weg gehen, soweit es sich machen lässt“, versprach Philphil.
Es sollte nicht mehr lange dauern, und eine Gruppe von Europabewohnern rippte sich zur Erde, suchte sich einen Platz in der Tiefsee und baute dort eine kleine Stadt. Philphil war einer von ihnen. Auch seine Schwester war mitgekommen. Sie zeigte sich von Anfang an fasziniert vom Planeten Erde und dessen Bewohnern. Man wusste einiges über diese fremdartigen Wesen, aber immer noch zu wenig. Sie waren schwer zu verstehen, niemand konnte begreifen, was sie dazu brachte, so zu handeln, wie sie es taten.
„Stell dir vor Alal“, sprach Philphil eines Tages zu seiner Schwester, „sie bringen sich immer noch gegenseitig um, massenhaft. Und das wegen Kleinigkeiten. Welcher Europäer würde das tun? Sie müssen alle krank sein. Gewiss gibt es auch bei uns Konflikte, aber wir töten uns doch nicht einfach deswegen!“
„Du hast recht, es ist schrecklich, aber auch wir mussten schon Dinge tun, die nicht ruhmreich waren“, sagte Alal und empfand Mitleid mit den Menschen. „Wir sollten noch besser verstehen, was mit ihnen los ist. Gewiss können wir ihnen helfen.“
„Vielleicht, falls ihre Schicksalslinie es zulässt. Wir haben oft versucht, sie zu begreifen“, bemerkte Philphil.
Bald beantragte Alal ein Forschungsprojekt beim Rat der Erdkolonie. Philphil, der Mitglied des Rates der Kolonialisten war, unterstützte ihr Anliegen. Auch wollte er mehr darüber erfahren, wie diese Wesen, diese Menschen, so werden konnten, wie sie waren: blind und fehlgeleitet in ihren Urteilen.
Bald schon durfte Alal ein Institut leiten, das sich mit Menschenforschung beschäftigte. Eines Tages kam Philphil zu Alal und sagte ihr, er habe tief in die Zeit geblickt und dabei die Verflechtungen der Schicksalsfäden gesehen. „Wir sollten die Menschen nicht nur erforschen“, bemerkte er, „wir sollten aktiv…“
„Ich weiß, was du sagen willst. Wir könnten unter ihnen leben, wenn wir wollen“, entdeckte ihm Alal.
„Ich denke, wir sind auf der richtigen Spur“, sagte Philphil.
Ein menschliches Erscheinungsbild zu bekommen, war nicht einfach und nur mit der Hilfe eines Teams von Experten möglich. Die genaue Kenntnis von Humanphysiologie und Genetik war dazu notwendig. Seltsam mutete es an, einen menschlichen Körper zu besitzen, die Schwerkraft zu spüren, gegen die sich die Bewohner des Landes permanent stemmen mussten, um sich fortzubewegen, oder einfach nur, um aufrecht zu stehen. Philphil konnte sich kaum rühren, nachdem er den neuen Körper bekommen hatte. Er war hauptsächlich Schwimmbewegungen gewohnt, nun schien ihm die geringste Veränderung seiner Körperhaltung wie ein Kampf um das notwendige Gleichgewicht. Zudem klebte er seltsam am Boden fest, als würden ihn unsichtbare Krallen abwärts ziehen. Und man konnte in einem Menschenkörper kuriose Laute von sich geben, indem man etwas von dem Gas, das die Atmosphäre der Erde bildete, durch den Hals presste, dabei den Mund verzerrte und die Zunge verdrehte. Er fühlte sich verloren in diesem Leib. Das änderte sich erst, als Philphil die für ihn erstellte Pseudoerinnerung implantiert bekam. Von da an konnte er mit dem neuen Körper umgehen. Man hatte einige Erinnerungen von Menschen kopiert, sie miteinander verbunden und versucht, etwas Sinnvolles daraus zu machen. Die Erfahrung des Laufens, die Regeln der Sprache und andere Gewohnheiten der Erdprimaten wurden ihm somit auf wunderbare Weise zugänglich. Auch besaß er von da an eine menschliche Geschichte, eine Vergangenheit. Sie glich einem Paket, angefüllt mit scheinbaren Erfahrungen, auf die er zurückgreifen können würde, sobald es notwendig schien. Natürlich wusste er, dass er diese Erfahrungen nie durchlebt hatte, aber für den Fall, dass er sie brauchen würde, kämen sie wie ein Tagtraum über ihn. Sie funktionierten dienten als Werkzeug. Bald fühlte er sich wohl in dem Menschenkörper, ja er freute sich darauf, einen richtigen Erdbewohner spielen zu dürfen. Es dauerte nicht lange, da schauten die anderen für ihn, die man ebenso äußerlich zu Menschen gemacht hatte, nicht mehr ganz so sonderbar aus. Er konnte bald ihre Gesichter unterscheiden und die Mimik darin lesen. Obwohl es nicht das erste Mal war, er hatte schon damals, vor langer Zeit, den Geschmack dieses zweifelhaften Vergnügens kosten dürfen. Jetzt erlebte er es wieder vollkommen neu. Ein seltsames Erlebnis war es, als Alal und er sich als Menschen gegenüberstanden. Sie schien ihm fremd und war gleichsam so vertraut. Sie stand vor ihm als seine Schwester und doch sah er eines dieser Erdenwesen, die ihm ein ewiges Rätsel bleiben würden. Irgendetwas konnte mit den Menschen nicht stimmen, das merkte er an den eigenen Pseudoerinnerungen: Im menschlichen Geist machte sich eine gewisse Art der Verwirrung breit!
Es waren einhundertzwanzig von ihnen, die man paarweise über einige der wichtigsten Länder des Planeten verteilen wollte. Sie standen in einem Raum tief unter der Meeresoberfläche. Um sie herum: Die ungewohnte Luft – sie atmeten sie mechanisch ein und aus. Man hatte ihnen Hosen, Röcke, T-Shirts und Jacken ganz nach dem Geschmack der Erdbewohner auf den Leib gerippt. Sie trugen ihre gefälschten Ausweise und Papiere bei sich. Die neuen Wohnungen – man hatte sie über das Internet angemietet – mussten nur noch bezogen werden. An Bewerbungsunterlagen für spezielle Jobs war gedacht. Man hatte alles vorbereitet. Ihnen würde man über eine Scheinfirma genügend Geld zukommen lassen, zur Überbrückung, bis das eigene Einkommen ausreichte, die Kosten zu decken.
Der Raum um Philphil löste sich auf und er fand sich unversehens in einer Wohnung wieder. Er schaute sich um. Hier also müsste er eine gewisse Zeit verbringen. Er würde sich daran gewöhnen, so seltsam die Menschenbehausung auch anmuten mochte. Nach kurzer Zeit vermittelte ihm die Wohnung eine Art von Wohlgefühl, selbst sein jetziger Körper, gebaut sich behäbig am Lande zu bewegen, wurde immer mehr zu einem Teil seiner selbst.
Philphil trieb sich in Universitätsseminaren herum, las Fachbücher, knüpfte Kontakte zu Menschen und sammelte ohne Unterlass Fakten über die aktuelle Situation auf der Erde. Dank ihrer guten Zeugnisse bekamen Alice und er eine Arbeit bei einem Institut der ESA, der europäischen Weltraumbehörde. Die wichtigste Aufgabe des Institutes bestand darin, die technischen Voraussetzungen für die Erforschung der Eismonde im Sonnensystem zu entwickeln. Auch begriff er immer mehr die Seele und die Kultur der Menschen. „Sie haben dieses Ding im Kopf“, sagte er eines Tages zu Alal, die sich mittlerweile Alice nannte, „es besteht aus Krampf und Kampf. Sie versuchen ständig zu sein, etwas, jemand, irgendwie zu sein. Ich finde das seltsam. Als müsse man sich anstrengen, um zu sein. Auch scheinen sie, sich nicht genug zu sein, immer wollen sie besser sein, als sie glauben, dass sie es sind. Vor allem wollen sie besser als die anderen sein, wodurch sie sich oft viel schlechter fühlen“, erklärte Philphil, der in menschlicher Form Philip genannt wurde. „Sie spalten sich ab, halten sich für eine isolierte Einheit, glauben, sie seien unabhängig und könnten den Linien des Schicksals entgehen. Sie betrachten hauptsächlich ihre eigene Welt, die deshalb so klein scheint, weil sie sie so klein sehen. Die Menschen meinen, es existiere in ihnen ein sogenanntes Ich, das der Welt gegenübersteht. Ich und die Welt. Sie glauben an Grenzen, die in Wahrheit ausgedacht sind. Es sind Gedanken, nichts als Gedanken. Daran muss man sich erst gewöhnen, dass sie Vorstellungen und Realität verwechseln. Manche töten sogar für ihren Glauben. Das ist unglaublich. Sie töten für nichts, töten, weil andere nicht die gleichen Vorurteile wie sie selbst bevorzugen. Das ist für uns unbegreiflich. Wir glauben nichts, wir wissen.“
„Das bedeutet ja nur, Sie nehmen das Zentrum des Universums nicht wahr!“, stellte Alice fest. „Aber das haben wir schon immer gewusst.“
Philip nickte traurig. „Sie haben keine Ahnung, woher sie kommen, wohin sie gehen, wer sie sind. Sie denken und denken und erfinden immer neue Träume, aber sie können nicht wirklich Sehen. Selbst das Rippen ist ihnen unbekannt. Leidtun sie mir, wirklich leid. Sie leben eingepfercht in ihren Vorstellungen, sie verzweifeln, wenn die Wirklichkeit davon abweicht. Deswegen verlangen sie immerzu etwas und stellen einander Bedingungen. Daraus kann nur Elend entstehen. Für jedes Kind auf Europa wäre das klar ersichtlich. Es ist eine sonderbare Welt, auf der wir jetzt leben. Eine Krankheit, ein düsteres Erbe hat sich in die Menschheit hineingefressen. Sie trägt ihren Untergang schon in sich. Sie spüren das Herz des Universums nicht schlagen. Das ist das Traurigste. So glauben sie, dass sie ein Leben haben. Sie wissen nicht, dass sie das Leben sind. Wir müssen dieses Grauen beenden, so schnell, wie es geht, bevor sie sich alle gegenseitig abschlachten. Wir dürfen nicht zusehen, wie die Erde vor die Hunde geht, wie man hierzulande sagt. Wir sind fähig, ihren Geist zu beeinflussen, und das sollten wir tun.“
„Gewiss, dann werden auch sie klar Sehen und schließlich rippen können“, ergänzte Alice.
Philip schaute sie lächelnd an. „Sie werden sehen und rippen, den Fäden des Schicksals folgen. So wird eine heilende Kraft heranwachsen, bis eines Tages der gesamte Planet von der Plage der Unwissenheit befreit sein wird. Dieser Linie des Schicksals muss ich folgen.“
In Alices Augen leuchteten Sterne. „Diese Linie wird auch die Meinige sein – oder meine sein, oder wie immer das heißt in dieser schrecklichen deutschen Sprache!“